Von Thomas Grüner
Bis zum Rest des Jahres 2023 wird Deutschland seine öffentlichen Ausgaben einfrieren – als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Bundesregierung die nicht ausgeschöpften COVID-Hilfsgelder nicht für die grüne Energiewende verwenden darf. Die einhellige Meinung ist, dass die deutsche Wirtschaft ohne diese Ausgaben nicht nur kurzfristig schwach bleiben wird, sondern auch langfristig ins Trudeln geraten könnte, da es ihr an Investitionen und Spitzenindustrien mangelt.
Begrenzter Einfluss
Es herrscht die gängige Meinung, dass die deutsche Wirtschaft überwiegend von der Schwerindustrie geprägt ist und der Staat somit einen bedeutenden Einfluss hat, wenn die Regierung im Rahmen ihrer Industriestrategie öffentliche Gelder lenkt. Allerdings macht der deutsche Dienstleistungssektor 63 Prozent des BIPs aus, das verarbeitende Gewerbe hingegen nur 18 Prozent. Bei genauerer Betrachtung spielt der deutsche Staat auch keine übermäßige Rolle, wenn es um Investitionen geht. Im Jahr 2022 waren die privaten Investitionen fast achtmal so hoch wie die öffentlichen Investitionen – dieses Verhältnis ist weitaus größer als in den USA, wo die privaten Investitionen nur das Fünffache der öffentlichen Investitionen betragen. Wenn also die USA ihren Ruf als privatwirtschaftlich geführtes Konstrukt verdient haben, dann verdient Deutschland wohl ähnliche Anerkennung.
Anderer Blickwinkel
Was wäre, wenn die Kürzung geplanter Investitionen und Ausgaben die Wirtschaft nicht stagnieren lässt, sondern vielmehr Raum für eine natürliche Entwicklung der Wirtschaft schafft, wobei die unsichtbare Hand des Marktes mehr private Investitionen in die besten und produktivsten Bereiche lenkt? Und was wäre, wenn sich diese Verwendungszwecke nicht unbedingt auf das beschränken, was Politiker und Lobbyisten im Namen des Klimawandels für ideal halten, sondern vielmehr auf gesamtwirtschaftliche Vorhaben für Produktivität, Innovation und Energieeffizienz abzielen? Langfristig betrachtet zeigt die Historie, dass Regierungen eben nicht dazu auserkoren sind, besonders erfolgreiche Investitionen zu tätigen.
Im kurzfristigen Bild bezweifeln wir, dass eine straffere Finanzpolitik viel ändern wird. Die Staatsausgaben haben das BIP in letzter Zeit belastet und sind neben den Verbraucherausgaben gesunken. Die privaten Investitionen sind im Jahresvergleich in fünf der letzten sechs Quartale gestiegen, während die öffentlichen Investitionen in vier von sechs Quartalen gesunken sind. Der Staat hat also nicht gerade die Schwerstarbeit geleistet, und eine bescheidene Trendwende in der privaten Wirtschaft würde ausreichen, um die deutsche Wirtschaft auf einen Erholungspfad zu bringen.
Fazit: Die emotionalen Diskussionen um einen Rückzug des öffentlichen Sektors sind positiv zu werten – es drückt die Erwartungen in Deutschland noch weiter nach unten und macht es der Realität leichter, positiv zu überraschen. Die Lichter werden im Winter nicht ausgehen – die Energiekosten sind zumindest niedriger als im Vorjahr und die Rohstoffengpässe haben sich entspannt. Auch die Kosten für Dienstleistungsunternehmen sind gesunken, während die Haushalte ihre Kaufkraft zurückgewinnen, da die Löhne langsam mit der Inflation gleichziehen. Deutschland mag vielleicht nicht an der Spitze stehen, aber das Wachstum in Europa und in der gesamten entwickelten Welt dürfte es mitziehen – mehr brauchen die Aktienmärkte nicht, um sich robust zu entwickeln.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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