Von Thomas Grüner
Neben geopolitischen Unruhen drückte zuletzt ein weiterer Unsicherheitsfaktor auf die Anlegerstimmung, insbesondere in den USA: Im Rahmen der Ausgabe langfristiger US-Staatsanleihen stieg deren Verzinsung sprunghaft an – angeblich ausgelöst durch eine schwache Nachfrage. Experten äußern verstärkt die Befürchtung, dass das Angebot mittlerweile die Nachfrage übersteigt und die Verzinsung in die Höhe schießen könnte.
Hohe Zinsen durch schwache Nachfrage?
Mittlerweile ist die Verzinsung 10-jähriger US-Staatsanleihen auf 4,85 Prozent angestiegen, 30-jährige US-Staatsanleihen notieren bei 4,94 Prozent. Eine schwache Nachfrage wird hinter vielen Faktoren vermutet – dass der niedrigste Gebotspreis bei der letzten Auktion relativ nahe beim Median sämtlicher Gebote lag, dass die Primärhändler mehr als ihren üblichen Anteil abnahmen und manche vermuten sogar, dass mittlerweile die Fed allein die Nachfrage nach langfristigen Anleihen stützt.
So einfach lässt sich die schwache Nachfrage dann aber doch nicht erklären. Eine geringe Spanne zwischen Mindestgebot und Median erzeugt nicht automatisch einen Anstieg der Zinsen, wie allein schon der letzte Zeitpunkt mit rekordtiefer Spanne im November 2021 zeigt. Der starke Zinsanstieg am letzten Auktionstag für 30-jährige US-Staatsanleihen dürfte vom Timing her viel eher mit der Veröffentlichung des Verbraucherpreisindex zusammenhängen, welcher unerwartet hoch ausfiel und die Primärhandler zu eiligen Aktionen verleitete. Und die Fed ist keinesfalls ein Marktakteur, der zu Alleingängen im US-Anleihesegment neigt. Die Fed hat ihre Bestände an langfristigen US-Staatsanleihen in diesem Jahr bereits um 39,2 Milliarden US-Dollar aufgestockt – das klingt gewaltig, ist aber im Vergleich zum durchschnittlichen täglichen Handelsvolumen von 68 Milliarden US-Dollar nicht besonders relevant. Insgesamt lässt sich auch festhalten, dass die Nachfrage ein gesundes Gesamtbild abgibt. Die letzten Auktionen für 10-jährige und 30-jährige US-Staatsanleihen waren immer noch 2,5-fach und 2,35-fach überzeichnet.
Übergeordneter Blick
Aus unserer Sicht handelt es sich beim jüngsten Anstieg der Zinssätze und der vermeintlich schwachen Nachfrage bei den Anleiheauktionen um stimmungsbedingte Schwankungen, die nicht unreflektiert in die Zukunft fortgeführt werden sollten. Wie Aktien können auch Anleihen – und die zugehörige Auktionsnachfrage – volatil sein und von kurzfristigen Stimmungsschwankungen beeinflusst werden. Es ist durchaus möglich, dass die Zinsen kurzfristig weiter steigen – aber wir bezweifeln, dass dies von Dauer ist. Der jüngste Aufschwung scheint eine stimmungsbedingte Überreaktion auf die sich ständig ändernden Prognosen der Fed zu sein. Im historischen Kontext befinden sich die Zinsen für 10-jährige US-Staatsanleihen immer noch unter ihrem Schnitt von 5,6 Prozent seit 1954.
Fazit: Die Kreditwürdigkeit der USA ist, obwohl sie selten wertgeschätzt wird, grundsolide. Das US-Finanzministerium hat keine Probleme, seine Schulden zu bedienen, da seine Steuereinnahmen die Zinszahlungen um ein Vielfaches übersteigen. Die Zinsen langfristiger Staatsanleihen bewegen sich am stärksten in Abhängigkeit von der Inflation und den Inflationserwartungen – und die Inflation geht parallel zu den vom Anleihemarkt antizipierten Inflationserwartungen zurück. Kurzfristig kann alles passieren – wie beispielsweise stimmungsbedingte Zinsspitzen – , aber da die Inflation nach unten tendiert, werden die langfristigen Anleiherenditen wahrscheinlich längerfristig folgen.
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Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman der Vermögensverwaltung Grüner Fisher Investments. Weitere Informationen unter www.gruener-fisher.de.
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