Von Armin Brack
Der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias warnte nach dem Scheitern der Gespräche um eine Regierungsbildung mit Pathos in der Stimme, der Juni könne zu einem „Monat der Tragödie“ für das Land werden.
Das führte nicht nur dazu, dass die verunsicherten Griechen ihre Konten leerräumten, sondern auch zu sinkenden Kursen an den internationalen Börsen. Auch der Dax verlor deutlich. Eine übertriebene Reaktion der Anleger?
Zwar könnten für Griechenland schon bald die Lichter ausgehen. Aber müssen wir uns davor fürchten? Anders gefragt: Wieviel kostet uns ein Austritt des Pleitekandidaten aus der Euro-Zone wirklich?
Die Fakten: Es wird Neuwahlen geben in Griechenland. Der Termin steht fest: 17. Juni. Fast genauso sicher scheint, wer die Wahl gewinnen wird: Alles andere als ein deutlicher Erfolg von Alexis Tsipras wäre eine größere Überraschung. Der neue Politstar der Radikallinken will alle Spar- und Reformmaßnahmen auf Eis legen.
Arbeitsplätze sollen geschaffen werden. Die Renten sollen steigen, Banken und viele privatisierte Betriebe wieder verstaatlicht werden. Das Geld dafür will er nach eigenen Worten von den Reichen nehmen – wie auch immer.
Warme Worte für seine Wähler sind das, die nur eines wollen: Diejenigen in den Abgrund stoßen, die das ganze Land erst an den Rand des Abgrunds geführt haben. Emotional verstehen kann man das, rational ist es nicht.
Was die angekündigte Politik eines Regierungschefs Tsirpas nämlich vermutlich wirklich für die Griechen bedeutete, wäre die umgehende Einstellung aller Hilfszahlungen von EU und IWF.
Dieses wiederum hätte sowohl die Pleite Griechenlands spätestens im Juli/August zur Folge als auch den Abschied Athens aus dem Euro. Das beschriebene Szenario noch zu verhindern, scheint unmöglich. Das bedeutet aber nicht viel in Griechenland und es ist ja noch etwas Zeit bis zum Showdown im Juni.
Denn eines muss man wissen: Tsirpas ist ein Radikaler, aber er ist auch ein machtbewusster Politiker und das heißt: er ist flexibel. Er könnte sich nach der Wahl auf einen Kompromiss mit den EU-Finanzministern einlassen.
Die geben sich zwar jetzt knallhart, angeführt vom deutschen Finanzminister, doch was heißt das schon in Zeiten der Krise?
Wolfgang Schäuble sieht aktuell „überhaupt keinen Spielraum“, die bislang vereinbarten Sparziele aufzuweichen: „Das ist vereinbart und überhaupt nicht verhandelbar und wird auch nicht verhandelt.“
Dass man ihm genau dieses so nicht abnimmt und auch den Junckers und Barrosos immer weniger von dem glaubt, was sie täglich zu und über Griechenland in die Welt posaunen, macht die Situation erst so instabil und so beunruhigend für die Märkte.
Es geht ans Eingemachte
Gehen wir einmal davon aus, dass die Neuwahl am 17. Juni tatsächlich keine Regierung mit einem Mandat zur Fortsetzung des EU-IWF-Programms von Sparhaushalt und Strukturreform hervorbringt. Dann geht es für Athen ans Eingemachte in Sachen Euro. Kurz gesagt: Die Griechen gehen von selbst oder sie werden gegangen.
Beides hätte denselben Effekt: Da eine Auflösung des Landes nach der Staatsinsolvenz natürlich nicht zur Debatte steht, kann es im dann anstehenden Insolvenzverfahren eigentlich nur darum gehen, die Zahlungsfähigkeit des Landes wieder herzustellen. Das wird schwer genug.
Ein Schuldenschnitt, bei dem die Gläubiger ganz oder zu einem großen Teil auf ihr Geld verzichten müssen, ist eine Möglichkeit. Griechenland wäre auf unabsehbare Zeit von den Finanzmärkten abgeschnitten, neue Kredite gäbe es nicht mehr. Ohne diese könnte das Land seine laufenden Ausgaben kaum finanzieren.
Darunter leiden müssten insbesondere Beamte, Rentner und Arbeitslose. Der Tourismus, die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle des Landes, käme praktisch zum Erliegen.
Eine Pleite Griechenlands wäre aber auch für die Banken des Landes verheerend. Sie haben der Regierung bereits mehr als 50 Milliarden Euro geliehen, indem sie etwa griechische Staatsanleihen – also gewissermaßen die Schuldscheine des Landes – gekauft haben. Doch mit dem Bankrott wären diese Staatsanleihen schlagartig nichts mehr wert. Das Geld wäre größtenteils verloren, die Banken könnten sich selbst nicht mehr refinanzieren und stünden vor dem Kollaps.
Bereits jetzt kämpfen viele dieser Finanzinstitute ums nackte Überleben: Angesichts der chaotischen politischen Zustände im Land plündern offenbar immer mehr Griechen ihre Konten, weil sie fürchten, dass das Geld nach einer Umstellung auf die Drachme nichts mehr wert sein könnte – und bringen so die Banken selbst in Gefahr. Die griechische Zentralbank, wiederum gestützt von der EZB, muss mit immer neuen Notkrediten für die Institute in die Bresche springen.
Noch sind die Notenbanker bereit dazu, die milliardenschwere Rettungspolitik fortzusetzen. Doch gibt es bereits kritische Stimmen auch aus der EU, die es ablehnen, frisches Geld in ein Fass ohne Boden zu leiten.
Folgen für Europa
Eine Staatspleite Griechenlands würde den generellen Vertrauensverlust in den Euro verstärken. Wetten auf sein Auseinanderbrechen dürften neue Rekorde erreichen. Daran besteht kaum ein Zweifel. Auch würden Länder wie Irland, Portugal, Spanien oder Italien noch größere Schwierigkeiten bekommen, sich an den Finanzmärkten Geld zu leihen, ohne bei der Verzinsung enorme Risikoaufschläge zahlen zu müssen.
Zudem gerieten wieder viele europäische Banken ins Schlingern. Denn auch sie besitzen griechische Staatsanleihen in Milliardenhöhe, müssten dieses Kapital abschreiben – und würden eventuell dadurch überfordert. Besonders schlecht erginge es Banken in Italien und Spanien.
Fast zeitgleich am vergangenen Donnerstag, als die Ratingagentur Fitch Griechenland erneut herabgestuft hat, senkte Moody's die Kreditwürdigkeit 16 spanischer Banken sowie einer britischen Tochter der Banco Santander um ein bis drei Stufen. Unter den betroffenen Finanzinstituten sind unter anderem Santander, Banesto, BBVA, Unicaja Banco sowie die Caixabank. Die Analysten begründeten die Herabstufung mit der erneuten Rezession, der anhaltenden Immobilienkrise sowie der andauernd hohen Arbeitslosigkeit.
Die Ratings bei den herabgestuften Banken bewegen sich zwischen niedrigem Investmentgrad und der höchsten Stufe auf Ramschniveau. Bereits zuvor hatte Moody's die Bonität von 26 italienischen Banken herabgestuft, darunter die Großbanken Unicredit und Intesa Sanpaolo.
Doch nicht nur die Banken, auch die Euro-Staaten, die Griechenland im Rahmen des ersten Hilfspakets bereits Milliarden geliehen haben, müssten ein empfindliches Minus in Kauf hinnehme. Diese Milliarden wären verloren. Auch die der deutschen Steuerzahler.
Um wieviel es sich genau handelt, lässt sich berechnen: Aus den Hilfsprogrammen für Griechenland und den Anleihekäufen der EZB ergibt sich für die Euro-Zone ein Verlustrisiko von insgesamt 157 Milliarden Euro. Der deutsche Anteil daran beträgt 37 Milliarden.
Aus dem Verrechnungssystem der Euro-Zentralbanken für den Zahlungsverkehr zwischen Banken (Target 2) ergab sich Ende Januar 2012 ein Negativsaldo der griechischen Zentralbank von 107 Milliarden Euro. Das Defizit dürfte inzwischen weiter gestiegen sein. Fallen diese Forderungen aus, müsste Deutschland exakt 27 Prozent der Verluste übernehmen.
Trotz alledem gibt es eine stetig steigende Zahl von Befürwortern einer griechischen Staatspleite. Sie argumentieren, dass sich eine solche ohnehin nicht mehr verhindern lässt. Jeder weitere Kredit wäre danach Insolvenzverschleppung. Zudem seien die wirtschaftlichen Folgen größtenteils eingepreist. Diese Argumentation hat viel für sich, meine ich.
Denn im Grunde geht an den Märkten schon seit Monaten fast jeder Akteur von der baldigen Zahlungsunfähigkeit, sprich Insolvenz, der Griechen aus. Eine Abwärtsbewegung, eine Art Crash auf Raten, hat bereits stattgefunden. Panikartige Zustände wie nach dem Lehman-Debakel sind am „Tag X“ daher nicht zu erwarten. Banken und Finanzmärkte hätten sich längst auf einen solchen Schritt eingestellt, meint beispielsweise der Chefvolkswirt der Deutschen Bank Thomas Meyer. Er hat recht damit.
Fazit:
So schlimm die Staatspleite auch zunächst für den griechischen Staat und den griechischen Bürger wäre, es ergäben sich daraus auch Chancen. Auch für Europa. Denn dauerhaft erhalten bleibt das politisch gewollte Währungskonstrukt wohl nur, wenn die Strukturreformen in den Peripherie-Ländern umgesetzt und die Schulden abgebaut werden. Kurzfristig tut dieser Weg uns allen weh, langfristig verspricht er Heilung.
Verabschieden müssen wir uns von den Milliarden, die gen Griechenland geflossen sind. Die werden wir nicht wiedersehen. Die deutsche Wirtschaft ist aber stark genug, das auszuhalten.
Allerdings wird es neues Geld für die Griechen geben müssen. Denn auch ein Athen außerhalb der Eurozone wird sich auf die Solidarität der europäischen Staatengemeinschaft verlassen können. Das birgt eine Gefahr: Kommen die Griechen dadurch schnell wieder auf die Beine, werden sich auch andere Völker überlegen – die Portugiesen etwa oder die Spanier – ob sie nicht ohne den Euro besser fahren. Das könnte zu einer Kettenreaktion führen.
Kapitalanleger sollten derzeit Finanzinstitute meiden, vor allem Banken in Südeuropa. Die deutschen Finanzinstitute sind zwar wesentlich besser aufgestellt, werden aber auch weitere Abschläge hinnehmen müssen, wenn die Griechen am 17. Juni gegen den Euro stimmen.
Dennoch muss man als Anleger nicht gleich die vermeintlich sichere aber renditearme „Fluchtburg“ Rententerminmarkt wählen. Noch scheint sogar eine Sommer-Rallye am Aktienmarkt möglich. Trotz des Griechenland-Chaos.
Für eine endgültige Weichenstellung nach oben müssen aber die US-Börsen mitspielen. Die US-Notenbank tagt erst wieder am 20. Juni. Drei Tage nach der Entscheidung in Athen.
Vielleicht werden dann die Weichen für eine weitere Runde der geldpolitischen Lockerung gestellt, die auch wieder Dax & Co. befeuern könnte. Noch näher an den US-Wahlkampf-Termin heranrücken wird die US-Notenbank sicher nicht.
Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Report.
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