Von Armin Brack
Auf den ersten Blick scheint es Österreich gut zu gehen. Der allgegenwärtigen Schuldenkrise hat sich die Alpen-Republik bisher entziehen können, obwohl das Land vor nur etwas mehr als zwei Jahren von einem Nobelpreisträger sogar als nächster Pleitekandidat gehandelt wurde.
Anders als der Starökonom voraussagte, wächst die Wirtschaft jetzt aber stärker als der EU-Durchschnitt. Allein die Wiener Börse spielt nicht so recht mit, liegt deutlicher im Minus als Dax & Co.
Schlechter schneiden nur noch die am Abgrund taumelnden Griechen ab. Was sind die Gründe?
Die österreichische Seele ist empfindsam und braucht immer wieder ihre Streicheleinheiten. „Der Standard“ aus Wien und verglich vor einigen Tagen die heimische Wirtschaft mit den Krisen-Griechen. Heraus kam wenig Überraschendes: Verglichen mit den Griechen lebt man im Lande des Wiener Schmähs auf der Sonnenseite.
Österreichs Wachstum liegt bei 2,9 Prozent (zum Vergleich: Griechenland schrumpft um 3,5 Prozent). Auch Defizit und Staatsverschuldung sprechen eine deutliche Sprache: So liegt das Defizit in Österreich bei 3,9 Prozent des BIP, in Griechenland bei 9,5 Prozent. Die heimische Staatsschuldenquote wird etwa 73,6 Prozent des BIP erreichen, jene Griechenlands hingegen 161,8 Prozent.
Auch bei den Arbeitslosenzahlen zeigt sich die dramatische Lage Hellas: Während laut Wifo-Prognose in Österreich eine Arbeitslosenquote von rund 4,2 Prozent erwartet wird, liegt die Schätzung für Griechenland bei 15,2 Prozent. Einzig bei der Entwicklung der Börse gibt es Gemeinsamkeiten mit dem Sorgenkind Europas.
Relative Stärke der Wirtschaft
Die relative Stärke der österreichischen Wirtschaft spiegelt sich augenscheinlich (noch?) nicht an der Wiener Börse wider. Der Leitindex ATX hat in diesem Jahr und auch im abgelaufenen Quartal deutlich mehr Federn lassen müssen als beispielsweise der „große Bruder“ Dax. So büßte der ATX seit Jahresbeginn mehr als 30 Prozent ein. Dies ist im Vergleich zu den wichtigsten europäischen Aktienindizes das zweitschlechteste Ergebnis hinter dem griechischen Aktienmarkt. Ein Desaster, das Ursachen hat.
Vor gut zweieinhalb Jahren sorgte Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman für Aufsehen mit seiner provokanten Aussage, die Alpen-Republik sei der nächste Pleite-Kandidat. Die Bedrohung für die finanzielle Stabilität Österreichs ergebe sich aus dem großen Engagement der Banken in Osteuropa, sagte Krugman zur Begründung. Viele Kreditnehmer seien dort aber längst nicht mehr in der Lage, ihre Schulden zurückzuzahlen. Krugman hatte recht mit seiner Analyse, nicht aber mit der Folgerung daraus. Pleite ist Österreich nicht und es droht auch kein Kollaps. Wer das sagt oder auch nur andeutet, redet gefährlichen Unsinn.
Tatsache ist aber dennoch: Das Finanzsystem des Alpenstaats wird einseitig belastet, weil österreichische Banken von rund 570 Milliarden Euro an Auslandskrediten fast die Hälfte an Schuldner in Osteuropa vergeben haben. Das entspricht gut 98 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Damit kommen wir zum Punkt: Der ATX leidet unter der starken Dominanz zyklischer Werte und von Finanztiteln. Mit der Raiffeisen, Erste Group und Vienna Insurance sind gleich drei der 20 ATX-Mitglieder Finanzwerte. Diese waren bisher auch die größten Verlierer in diesem Jahr. Grund: Das bereits angesprochene Engagement in Osteuropa (allen voran im stark schwächelnden Ungarn, in der Ukraine und Rumänien) sowie immer wieder auftretende Spekulationen von angeblich anstehenden Kapitalerhöhungen bei ATX-Schwergewichten.
Kein Grund zur Panik
Aber kann das ein Grund sein, der Börse Wiens langfristig fern zu bleiben? Ich meine, das wäre ein großer Fehler. Zwar widerspreche ich aus bereits genannten Gründen Heinrich Schaller, Vorstand der Wiener Börse, der Österreich einen sicheren Hafen mit einem stabilen rechtlichen und wirtschaftspolitischen Umfeld nennt. Aber ich sehe auch keinen Anlass für Panikmache.
Im Gegenteil, es gibt Anlagemöglichkeiten, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Hier drei Punkte, die Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung des Kursniveaus für den ATX machen:
1. Viele österreichische Aktien sind jetzt günstig bewertet. Für nächstes Jahr kann man von einem stabileren Marktumfeld ausgehen. In der zweiten Jahreshälfte 2012 könnte es einen Aufwärtstrend des allgemeinen Zinsniveaus geben und einen stärkeren Euro. Diese Entwicklungen dem ATX Auftrieb geben.
2. Die meisten österreichischen Unternehmen – Finanzwerte mal ausgenommen – sind im Fall eines erneuten wirtschaftlichen Aufschwungs weit besser gerüstet als beispielsweise im Jahr 2008/29 nach der Lehman-Pleite.
3. Wegen der ab April 2012 geplanten Einführung einer Wertpapiersteuer von 25 Prozent hat es Vorziehkäufe gegeben. Einige größere Investoren sind ins Ausland ausgewichen, haben ihr Geld umgeschichtet und Depots bei ausländischen Banken eröffnet. Die großen Verkaufsorders sollten jetzt allerdings abgeschlossen sein.
Trotz alledem kann es noch einige Kursrücksetzer geben. Raiffeisen-Chefanalystin Birgit Kuras geht davon aus, dass der ATX bis März 2012 auf 1.700 Punkte fällt, um sich danach stark zu erholen.
Thomas Neuhold von der UniCredit Bank Austria prognostiziert auf 12-Monats-Sicht ein ATX-Kursziel von 2.700 Punkten bei einem Gesamtrenditepotential von knapp 40 Prozent.
Meine Prognose: Nachdem der ATX auf 1.800 Punkte zurückfällt, wird er bereits im ersten Halbjahr 2012 auf deutlich über 2.200 Punkte klettern. Ich würde Bankentitel vernachlässigen, sehe bestes Chancen/Risikenprofil zum Beispiel bei RHI und Voestalpine.
Fazit: Der ATX leidet an der starken Osteuropa-Ausrichtung. Langfristig kann sich das aber wieder als Trumpfkarte erweisen. Denn unbestritten ist, dass der Osten ein Riesenpotenzial hat. Die Rückschläge für den ATX sind übertrieben. Eine gesunde Korrektur ist nur eine Frage der Zeit. Weitere Rücksetzer sind aber jederzeit möglich, vor allem dann, wenn sich die Schuldenkrise in Europa verschärft.
Österreich steht im internationalen Vergleich gut da: In den 27 EU-Staaten wird durchschnittlich mit einem Defizit von 3,8 Prozent gerechnet; und das noch auf Basis der guten Konjunkturdaten vom Frühjahr. Der Alpenstaat geht selbst von 3,2 Prozent Defizit aus. 2013 soll das Defizit unter 3 Prozent (Maastricht-Grenze) liegen, bereits 2015 bei 2 Prozent. Ambitioniert, aber machbar!
Wichtig ist jetzt, dass die österreichischen Banken die richtigen Konsequenzen aus der Schuldenkrise ziehen. Bis zu 4 Milliarden Euro beträgt deren Kapitalbedarf. Möglich, dass viele Finanzinstitute dem Beispiel der „Erste Bank“ folgen, die angesichts der Schuldenkrise und einer Gewinnwarnung auf Dividendenzahlungen verzichten wird und Staatshilfen länger behalten will. Grundsätzliche Zweifel an der Stabilität des österreichischen Bankensystems habe ich nicht. Insgesamt erscheint es mir nicht anfälliger als das deutsche zu sein.
Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Report.
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