Von Bernd Niquet
Dass ich die augenblickliche Krise nicht für gravierend halte, hat man mir als Optimismus ausgelegt. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Ich denke ja, wir sind über den „Point of no return“ bereits hinweg. Die Lage ist hoffnungslos, aber noch nicht ernst. Ich denke, dass weder die USA noch Europa oder Japan ihre Staatsschulden jemals werden zurückzahlen können und dass es auch mit der Bedienung dieser Schulden zunehmend schwieriger wird.
Vor allem leisten wir uns auf Dauer ein völlig falsches Zinsniveau, nur um einen Zusammenbruch unserer Staatsfinanzen schon jetzt zu verhindern – und ermöglichen damit Fehlallokationen in gigantischem Ausmaße.
Doch an so einer Pipi-Krise, wie wir sie jetzt haben, geht ein mächtiges System wie das unsere nicht kaputt. Das, was wir heute erleben, ist für mich nichts anderes als nur ein weiteres leichtes Vorflimmern von dem, was uns in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren blühen wird.
Die Ausschreitungen von London halte ich dagegen für wesentlich gravierender. Denn während die Eurokrise letztlich nur an den Wirkungen ansetzt, zeigt die London-Krise die Ursachen: Ein System, in dem eine kleine Minderheit immer reicher wird und die große Mehrheit immer größere Probleme bekommt, wobei der untere Teil ganz herunter fällt, lässt sich auf Dauer nicht halten.
Eine freie Marktwirtschaft führt zwar nicht zwangsläufig zum Monopolkapitalismus, wie die Linken es behauptet haben, denn hier kann man wirksame Sperren einziehen, doch sie führt zwangsläufig zu einer enormen Vermögenskonzentration.
Heute sind wir in der delikaten Lage, dass die Armen die Reichen retten müssen, um einen Zusammenbruch des Gesamtsystems zu vermeiden. Für die 45 Prozent arbeitslosen Jugendlichen in Spanien oder weit mehr als 20 Prozent in anderen europäischen Ländern bleibt da schlicht kein Geld mehr. Wir sind am Ende.
Natürlich war früher, in der Zeit vor oder zwischen den Weltkriegen, die Ungleichverteilung noch wesentlich größer. Doch damals gab es noch kein Fernsehen, das heute den Menschen täglich direkt vor der Nase alle Verlockungen präsentiert, die sie unbedingt haben müssen! Das Fernsehen ist heute das, was früher die Möhre für den Esel war, die man ihm vor die Nase spannte.
Und dass dann, wenn sich einmal plötzlich eine unverhoffte Chance ergibt, diese Unterschichts-Möhren sich genau das holen, was man ihnen täglich vorgibt, sich holen zu müssen, ist mehr als verständlich. Der einzige Skandal ist, dass sämtliche Entscheider vorgeben, nicht zu verstehen, was doch eigentlich jeder verstehen kann – auch wenn es nicht zu tolerieren ist. Doch Tolerieren und Verstehen sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe.
Aus diesem Grund bin ich natürlich auch für die Eurobonds, jetzt, sofort, und so viel wie möglich. Denn ob wir nun in den nächsten Jahrzehnten von der obersten oder der zweitobersten Klippe fallen, macht beim Aufschlag wirklich keinen Unterschied mehr. Und bis dahin haben wir wenigstens noch einmal gelebt im Paradiese.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet.
… AUCH 2011 IMMER NOCH AKTUELL: DIE FINANZKRISE!
Bernd Niquet, "Wie ich die Finanzkrise erfolgreich verdrängte", Leipzig 2010, 465 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86901-830-0.
Jetzt hier bestellen.